Auseinandersetzung statt Regeldurchsetzung
Auseinandersetzung statt Regeldurchsetzung
„Wieso darf ich nur zweimal pro Woche in den Ausgang und S. dreimal?“
„Es ist nicht fair, dass ich bereits um 22.30 Uhr im Zimmer sein muss und D. erst
um 23.30 Uhr.“
Mit solchen und ähnlichen Fragen und Anliegen sind wir als Team seit der Einführung der Kompetenzorientierung in unserem Alltag konfrontiert. Natürlich nehmen wir diese Herausforderung an und versuchen unser Handeln gegenüber den Jugendlichen und jungen Erwachsenen stets nachvollziehbar zu begründen. Individualität stellt ab sofort ein noch bedeutsameres Wort in unserer täglichen Arbeit dar. Für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist Individualität ein Wort, welches häufig Unverständnis auslöst. Sie fordern Gleichbehandlung und trotzdem wollen sie sich möglichst von allen anderen unterscheiden. Eine Diskrepanz, welche sich nicht immer zu einem Gemeinsamen vereinen lässt. Die Kompetenzorientierung empfiehlt, dass allgemeingültige Regeln, welche für die ganze Gruppe gelten, möglichst knappgehalten werden. Dies veranlasste uns beispielsweise dazu die
Hausordnung zu überarbeiten und sie auf das Wichtigste zu reduzieren. Mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden anhand bereits vorhandener Fähigkeiten und dem Einbezug von altersentsprechenden Entwicklungsaufgaben individuelle Ziele erarbeitet. So kommen zum Beispiel unter-schiedliche Zu-Bett-
Geh-Zeiten zustande. Schafft es jemand morgens selber aufzustehen, ist Zimmerbezug spätestens um 23.30 Uhr. Hat jemand im Gegenzug ein grösseres Schlafbedürfnis und morgens Schwierigkeiten aus dem Bett zu kommen, wird in der Zusammenarbeit mit dem für sie/ihn verantwortlichen Teammitglied eine individuelle Zimmerzeit festgelegt. Stets mit dem Ziel, die Kompetenz für ein selbständiges Aufstehen zu erwerben.
In die Arbeit mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen fliessen bereits erste Instrumente der Kompetenzorientierung ein, welche die Bezugspersonenarbeit intensivieren. Für ein optimales Klientenverständnis sind die Arbeitsmittel nicht nur ziel- respektive zukunftsgerichtet, sondern berücksichtigen ebenfalls Erlebnisse und Erfahrungen aus der Vergangenheit. Die Reaktionen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind unterschiedlich. Einige erzählen lebhaft aus der Vergangenheit und andere schauen wiederum nur ungern zurück. Die Relevanz des Umfeldes, in welchem sie sich bewegen, wird ebenso gesteigert. Dies erfordert eine hohe Kooperationsbereitschaft von allen Personen, welche die Jugendlichen und jungen Erwachsenen umgeben. Es sind dabei nicht nur die Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten eingebunden, sondern zusätzlich die Arbeitgeber, die Lehrpersonen, die Therapeuten oder andere wichtige Personen aus ihrem Alltag.
Nicht nur die Auseinandersetzung mit den Themen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sondern ebenso die Ebene der Mitarbeiter spielen eine massgebende Rolle. Wie können wir als Team den Alltag möglichst lern- und entwicklungsfördernd gestalten? Was braucht es für Anschauungsmaterial (Zeitschriften, etc.) für die unterschiedlichen Alters- und Interessengruppen? Wie sehen Ritualpunkte in der Sozialpädagogischen Wohngruppe Magellan aus? Solche und weitere Fragen beschäftigten uns. Wir werden die Kompetenzorientierung stetig weiter Teil unseres Arbeitsalltags werden lassen.
Einen Kommentar schreiben
Kommentar von Noémie |
Der Beitrag aus der Sicht der Fachpersonen finde ich offen und ehrlich - herzlichen Dank dafür! Ebenfalls kommt durch die (kompetenzorientierte) Haltung des Teams bei mir die Chance an, dass sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegenseitig ein Vorbild sein können. Im Sinne von: Mein Mitbewohner darf später ins Bett? Wie verhält er sich und wie verhalte ich mich? Was brauche ich, um auch an diesen Punkt zu kommen? Ein solcher Gedanke könnte sich vielleicht sogar zu einer Motivationsspritze formen.
Aus diesem Blickwinkel empfinde ich auch eine mögliche "Auseinandersetzung" als eine wunderbare Chance, sich anschliessend neu und passend wieder zusammenzufügen.
Sehr schöner Beitrag über den Einblick und die Gedanken des Teams. Vor allem der stets wohlwollende und fürsorgliche Blick auf die entwicklungsfördernde Umgebung der jungen Menschen berührt mich. Ich würde mir zu einem späteren Zeitpunkt einen "Teil zwei" des Arbeitsalltages wünschen - sofern ich einer Fee über den Weg stolpere und ich bei ihr einen Wunsch frei hätte. :-)
Motivierte Grüsse für einen angenehmen Herbstanfang
Noémie